Die Flucht auf die lange Distanz

Dr. Matthias Marquardt - Blog - Motivation

MOTIVATION

Die Flucht auf die lange Distanz
Mal ehrlich: Wie schnell muss man fünf Kilometer laufen, damit die Kollegen im Büro, die unter Umständen früher einmal Fußball gespielt haben, anerkennend nicken? Die 30-Minuten-Schallmauer zu durchbrechen, reicht zur Erhöhung des sozialen Impact-Faktors (Einkommen x Anzahl der Facebookfreunde / Bauchumfang x 5-Kilometer-Bestzeit) nicht wirklich aus.



Und 24 Minuten ist der eine oder andere Fußballer halt auch schon gerannt. Wir  reden also eher von der 20-Minuten-Grenze für einen Boost im sozialen Ranking. „Was für eine Katastrophe!“, wird manch Spätberufener denken: Dafür braucht es eine gute Grundlagenausdauer, Intervalltraining, Technik und jede Menge Schinderei. Am Ende womöglich sogar noch Talent.

 

Also, was tun? Man tut das, was ich als Internist und Bürosport-Soziologe die „Flucht auf die lange Distanz“ nenne. Es gibt da eine fein austarierte Grenze, ab welcher Streckenlänge mangelndes Tempo nicht mehr ins Gewicht fällt. Früher machte uns der Halbmarathon zu dem, was wir alle gerne sein wollen: Helden! Aber heutzutage kann die Nachlese des Rennens am Montag bei leckerer Currywurst in der Kantine nach anfänglichen Respektbekundungen anders verlaufen. Wenn dann sachkundig nachgefragt wird, wie lange die 21,1 km denn gedauert hätten, und man 2:43:21 Stunden zum Besten gibt, dann wird dummerweise manch einer sagen: „Na höre mal, das würde ich aber auch noch hinkriegen“ (und hat dummerweise auch noch recht damit). Bliebe der  Marathon, aber der ist auch vergleichbar geworden. Da heißt es dann schon mal: „Sehr respektabel, deine 4:54 Stunden. Der Kollege aus der anderen Abteilung ist übrigens 2:58 Stunden gelaufen. Ganz schön schnell.“ Nein, auch der Marathon reicht nicht mehr für den Showdown in der Kantine.

 

Ab dem Marathon wird es aber wieder sicherer, weil die Strecken dann zum einen krumm und zweitens oft bergig werden. 48 Kilometer auf irgendeinen Berg? 250 Kilometer durch die Wüste? Die 75 Kilometer von St. Nimmerlein? Der 63-Kilometer-Ultra mit 6.000 Höhenmetern? Damit begibt man sich im Büro nicht aufs Glatteis. Wer will da gegenanstinken? Acht Stunden bei Regen mit Schmalzbrot und Zitronentee als Verpflegung durch irgendein Mittelgebirge zu traben ist halt sowas von belämmert, dass man der psychischen Leistung einfach Respekt zollen muss. Das macht so schnell auch keiner nach.

 

Oder ist an diesen Ultras doch was dran? Ich gebe es zu: Ich würde es so gern probieren! Ich träume manchmal vom TAR, dem Transalpine-Run. Diese Berge. Diese Ausdauerleistung. Aber  meine Knochen machen das nicht mit. Es geht einfach nicht. So gehe ich langsam unter: Erstmals bin ich mit dem Babyjogger an der 20-Minuten-Grenze über fünf Kilometer gescheitert. Ich bemühe mich, das mit Würde zu tragen. So wie mein Autorenkollege Uli Nieper, der nach 10:15 Stunden auf der Ironman-Distanz verkündete: „Wenn der Akku der Garmin nicht mehr reicht, wird es Zeit, sich von der Langdistanz zu verabschieden.“ Ob er jetzt den Triple-Ironman macht? Ich glaube, das muss er nicht. Jeder rennt sein eigenes Rennen und muss wissen, wann es gut ist.

 

Ihr Dr. Matthias Marquardt

 

MEIN TIPP:

Fragen Sie sich, für wen Sie laufen. Für die  Vereinskollegen, die anderen im Büro oder für sich? Hoffentlich nur für sich selbst. Ultrarennen sind sicher keine Pflicht, aber für viele ein außergewöhnliches Erlebnis.


Einmal im Monat schreibt der bekannte Internist und Laufexperte Dr. Matthias Marqardt im Triathlon-Magazin eine Kolumne zu kontroversen Themen des Laufsports.

 

 www.tri-mag.de



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