FETTSTOFFWECHSEL
Ich hab ein gutes Gefühl!
Wir schreiben das Jahr 2017. Epo ist fast schon Vergangenheit. Triathletische Ausdauermaschinen pushen sich heute mit „Sportpsychologie für Einsteiger“ zum 70.3- Rennen. Fokus, mentale Stärke und Visualisierungstechniken sorgen also dafür, dass Triathleten täglich mit dem immer gleichen Szenario in den Schlaf gleiten: die Zeitfahrmaschine.
Ohm. Die dröhnende Scheibe. Ohm. Der Dampfhammer. Ohm. 55:11 Minuten. 360 Watt. 44 km/h. Ohm. Ich hab ein gutes Gefühl. Ohm.
Dieses Psychodoping bleibt auch für die Leistungsdiagnostik nicht ohne Folgen. Präpariert mit Shakes und Riegeln wie für den Hauptwettkampf erscheint der Triathlet und verkündet sein Testziel: „Heute knall ich die 400 Watt weg! Ich hab ein gutes Gefühl!“ Das ist viel, brach er doch beim Test im Frühjahr schon bei 250 Watt völlig zusammen. Aber es wird schon werden, schließlich wurde das Ergometer eine Stunde lang genau eingestellt, Kompressionsradhosen wurden angelegt und Autosuggestion und Visualisierung sollen den Rest besorgen.
Bei 150 Watt noch alles locker. Bei 200 Watt verziehen sich erstmals die Gesichtszüge. „Ich hab ein gutes Gefühl“ wiederholt der Sportler wie ein Mantra und schlägt sich mit der Faust auf die Brust, wie Tom Hanks in „Cast away“, als er Feuer gemacht hat. Die Laktatmessung verheißt allerdings nichts Gutes. Die Leistung klettert auf 250 Watt, der Kopf wird rot. Der Satz „Ich hab ein gutes Gefühl“ ist plötzlich nicht mehr zu vernehmen. Endlich sind wenigstens die 37 Minuten vom Vortest geschafft. Aber dann geht es schon aus dem Sattel. Keuchen. Das medizinische Fachpersonal – Kummer und Leid gewöhnt – schaut betreten auf den Boden. Nach 1:45 Minuten bei 250 Watt ist Schluss. Der Eisenmann stöhnt, er hätte Licht gesehen und rettet sich präkollaptisch auf den Fußboden. Sendepause. Aber dann: Als die Augen wieder aufgehen, lautet die erste Frage: „Hab ich die Stufe geschafft?“ Das ist wahrer Einsatz!
Peinlich? Ach, bitte! Ich erinnere mich an dieses Gefühl, alles zu pulverisieren vor jeder Leistungsdiagnostik. Ich erinnere mich aber auch an dieses demütigende Gefühl irgendwo an der individuellen anaeroben Schwelle, das einem plötzlich klarmacht, dass positive Autosuggestion doch nicht alles ist. Dass Frodo doch von einem anderen Stern kommen muss. Und dass 60 Sekunden länger auf einer Teststufe eigentlich ganz gut sind.
Und außerdem geht es auch im Triathlon mitunter um die B-Note. Während man die A-Note in Watt exakt bemessen kann, kann man sportlichen Ehrgeiz und Kampfgeist gar nicht hoch genug bewerten. Nahtoderfahrung in der Leistungsdiagnostik ist vielleicht nicht zwingend erforderlich, hebt die B-Note aber definitiv! Also, lassen Sie es krachen beim Hauptwettkampf 2017! Und haben Sie dabei ein gutes Gefühl!
Ihr Dr. Matthias Marquardt
MEIN TIPP:
Triathlon wird nicht durch Wattwerte gemacht, sondern durch Kampfgeist und sportlichen Ehrgeiz. Zeigen Sie, was in Ihnen steckt!
Einmal im Monat schreibt der bekannte Internist und Laufexperte Dr. Matthias Marqardt im Triathlon-Magazin eine Kolumne zu kontroversen Themen des Laufsports.