Mea culpa!

Dr. Matthias Marquardt - Blog - Training

TRAINING

Mea culpa!

Zu einer Zeit, als Kohlenhydratmast rund um die Uhr noch als gesund galt und niemand vegane Low-Carb-Rezepte bei Facebook postete, war ich Triathlontrainer und studierte  Medizin.



Auf irgendeiner Fortbildung hatte ich gelernt, dass man „talentfreien“, „übereifrigen“ Sportlern in jüngeren Jahren behutsam den Weg weisen sollte. Man solle bitte keine falschen Erwartungen wecken. Nun war ich definitionsgemäß selber talentfrei, da dauerverletzt, und übereifrig wäre eine euphemistische Beschreibung meines Charakters gewesen: Ich brannte so lichterloh wie zehn Magnesiumfackeln. Vom Ironman-Training hätte mich das aber kaum abgebracht.

 

Ich war auch Trainer einer Sportkameradin, die ebenfalls von einem Ironman träumte, aber unwahrscheinlich langsam war (10-km-Bestzeit: 1:20 Stunden). Lauftechniktraining, Pulskontrolle (liebe Jugendliche, das war damals modern!), Leistungsdiagnostik. Nichts half. Die Zeiten blieben, wo sie  waren. Trotz steigenden Trainingseinsatzes. Dieser Kampf. Dieser Einsatz. Ohne  Ergebnisse.

 

Klarer Fall: übereifrig und talentfrei. Ich meinte irgendwann, ihr das ausreden zu müssen. Keine falschen Erwartungen mehr wecken. Hätte ich nur vorher schon die Psychologiefortbildung besucht, denn es gab Tränen. Aber ich dachte, es sei besser so. Jedem Ende wohnt ein Anfang inne. Oder so ähnlich. Möge sie doch ihr Talent im Schach entdecken. Ich glaubte, das Richtige getan zu haben. Wir hatten alles, wirklich alles versucht! Ich schwöre!

 

Wir verloren uns irgendwann aus den Augen und trafen uns nach der Erfindung von Facebook und Strava wieder. Auf einer Sportveranstaltung. Triathlon, nicht Schach! Das „Wie geht’s denn so?“ war meine größte sportmedizinische Blamage: Die Bestzeit auf 10 Kilometer liege nun bei 53 Minuten. Im Zeitfahren arbeite sie am 38er-Schnitt. Ihre Erklärung war höflich: Das waren damals nur die niedrigen Ferritinwerte.

 

Nun, das Blutbild war damals okay, daran erinnere ich mich genau. Dennoch wäre ich am liebsten im Boden versunken. Wie konnte ich nur so einen Fehler gemacht haben? Ich hatte doch alles versucht! Vielleicht hatte ich das, aber hatte ich an die Sportlerin geglaubt? Heute weiß ich, dass ich das nicht hatte. Aber ihr neuer Trainer glaubte an sie. Und der Glaube kann Berge versetzen. Der eiserne Wille ist wichtiger als Talent. Ich habe es damals nicht erkannt. Mea culpa! Es tut mir leid!

 

Jetzt steht ihr die Triathlonwelt offen. Sogar Altersklassensiege wurden schon gefeiert. Nur Ironman möchte sie nicht mehr machen. Die Laufschwäche auf langen Strecken sei eben doch geblieben, meint sie. Ist das so? Oder ist das nur in ihrem Kopf, weil ein zu junger Trainer ihr vor zehn Jahren fragwürdige Ratschläge gab? Ich frage mich jetzt: wieso nicht Ironman? Und ich frage mich, was diese ganzen wundervollen Ausdauersportler da draußen noch alles leisten können, wenn sie es wirklich wollen. Glauben Sie an sich! Ich tue es auch!

 

Ihr Dr. Matthias Marquardt

 

MEIN TIPP:

Der eiserne Wille schlägt das Talent. Welche Grenzen gibt es in Ihrem Kopf? Zeit abzurüsten!


Einmal im Monat schreibt der bekannte Internist und Laufexperte Dr. Matthias Marqardt im Triathlon-Magazin eine Kolumne zu kontroversen Themen des Laufsports.

 

 www.tri-mag.de



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Marquardts Meinung -- Mea culpa!
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