GESELLSCHAFT
April, April …
Ich steige an einem Samstagmorgen schwer angeschlagen vom harten Frühjahrstraining und dem (streng vegetarischen!) Rotwein vom Vorabend, den ich zur Blutbildung einsetze, auf meine in diesem Jahr erstmals sonnige Terrasse. Ich rühre im Bio-öko-tropho-Kakao und lese, dass die Zwei-Stunden-Schallmauer im Marathonlauf geknackt wurde.
Ei der Daus! Ohne große Vorankündigung? Kann das stimmen? Die Kollegen von der Runner’s World haben’s berichtet. Die wissen das. Keine fünf Minuten, nachdem ich die Weltneuheit begeistert geteilt habe (und kurz überlegte, ob ich ein Live-changing-Event in meiner Facebook-Timeline eintragen sollte), machen mich freundliche Internetbenutzer auf das Datum dieses Sonnentags aufmerksam: Es ist der 1. April. Schamesröte steigt mir ins Gesicht.
Was ist peinlicher als solch ein Post? Ihn zu löschen! Also mit offenem Visier durch die Internetschelte und die dazugehörigen Belehrungen: Physiologisch unmöglich sei der Marathon unter zwei Stunden. Genaugenommen völlig unmöglich. Das sehe ich allerdings nach wie vor anders, und dem Laufgott sei es gedankt, dass mir wenige Wochen später ein Sportschuhriese aus Beaverton zur Hilfe eilte.
Nike verpflichtete drei erstklassige Marathonläufer, um auf einer Formel-1-Rennstrecke mit der halben Langstreckenweltelite als Hasen eben jene Grenze zu unterbieten. Und Olympiasieger Kipchoge aus Kenia läuft in Monza tatsächlich die schnellste je gelaufene Zeit. 2:00:25 Stunden zeigen: Es ist möglich! Wir werden den Fall der magischen Grenze aller Wahrscheinlichkeit nach bald erleben. 1.April? Ich bin rehabilitiert!
Eröffnet ist aber eine neue Diskussion: Solche Werbeveranstaltungen – darf man das? Die „armen Sportler“ werden völlig missbraucht für den Kommerz! Das mag sein, aber ehrlich gesagt, scheint mir das bei weiteren Veranstaltungen des Sportjahres nicht substanziell anders zu sein. Und dann dieses völlig überflüssige „schneller, höher, weiter“. Ganz, ganz schlimm. Früher war alles besser. Da hat Eddy Merckx noch zum Spaß gedopt und aus Versehen gewonnen. Das Thema Leistungssteigerung gehört wirklich auf den sportlichen Friedhof der Geschichte!
Wir Freizeittriathleten sind da ja aber sowieso ganz anders. Für mehr Geld den Job wechseln? Niemals! Gute Zeiten beim Wettkampf sind auch völlig out. Die meisten starten heute ja mit Hollandrädern beim Ironman. Vitamintabletten sind für Alte und Schwache und Leistungssteigerungen höchstens etwas für herzlose Neoliberale. Auch ich halte mich an diesen Trend und möchte auf keinen Fall schneller werden. Besonders effektiv: Dauerhafte Trainingspause und Kettenöl wegschmeißen. Allerdings: Bei einem E-Bike am Horizont breche ich kurz mit diesem Trend. Das liegt einfach in meiner Natur …
Ihr Dr. Matthias Marquardt
MEIN TIPP:
Das „schneller, höher, weiter“ der Elite wird oft kritisiert. Aber machen wir Triathleten nicht täglich genau das gleiche? Und hat bei uns die Gesundheit immer Vorrang? Lassen Sie uns darüber nachdenken!
Einmal im Monat schreibt der bekannte Internist und Laufexperte Dr. Matthias Marqardt im Triathlon-Magazin eine Kolumne zu kontroversen Themen des Laufsports.