GESELLSCHAFT
Verletzungen zweiter Klasse
Sie wissen es ja: Der Triathlet trainiert, einsam wie ein Wolf, pro Woche mindestens die Arbeitszeit eines in Deutschland üblichen Tarifvertrags – netto versteht sich – und schafft es damit höchstens in die Top 20 der Altersklasse auf dem örtlichen Volkstriathlon.
Die Leistungsdichte ist einfach unverschämt hoch. Und dass Fußballer bei derartigen Trainingsleistungen längst im Ferrari Brötchen holen fahren? Geschenkt. Wissen wir.
Was sich aber der öffentlichen Wahrnehmung weitestgehend entzieht, ist, dass Helden des Dreikampfs anders als den Bolzplatz-Millionären auch im Fall einer Verletzung jegliche Anerkennung versagt wird. Tja, auf Genesungswünsche vom Kollegium und Blumen auf dem Schreibtisch kann man bei Spreizfußbeschwerden lange warten. Reißt sich aber der Kollege beim Ski fahren das Kreuzband, wird fast eine Schweigeminute eingelegt. Nur weil der mit Krücken rumläuft? Das ist doch völlig überzogen! Der hatte doch nicht mal Trainingsausfälle!
Kollegen könnten bitte endlich mal zur Kenntnis nehmen, dass wir in einer Zweiklassengesellschaft der Sportverletzungen leben: Schienbeinkantensyndrome und Achillessehnenschmerzen sind ganz offenbar weniger Aufmerksamkeit, Mitleid und Genesungswünsche wert als Kreuzbandrisse und gebrochene Handgelenke. Triathleten werden so zum Sportler zweiter Klasse, und nicht selten höre ich Sportler mit Achillessehnenentzündung in der Praxis seufzen: „Hätte ich nur einen Kreuzbandriss, dann würden die Kollegen – wahlweise auch der Ehepartner – wenigstens verstehen, wie schlecht es mir geht!“
Es muss sich hier dringend etwas tun! Entweder müsste es Laufschuhe, Blackrolls und Ackerschachtelhalm endlich auf Kassenrezept geben, oder es muss mehr Anerkennung her. Kleine Informationszettel im Büro wären eine Möglichkeit, für Verständnis zu werben: „Wussten Sie schon, wie weh eine Achillessehnenentzündung tut? Nein? 9 von 10 Schmerzpunkten (10 = Vernichtungsschmerz mit Todesangst) sind bei hart trainierenden Triathleten keine Seltenheit! Ja, so ein schmerzgeplagter Kollege kann einem ganz schön leidtun!“
Ob diese extraharte Trainingswoche mit 120 Laufkilometern kurz nach dem Ironman mit darauffolgender Achillessehnenentzündung denn notwendig war, fragt daraufhin der neunmalkluge Kollege. Frechheit gepaart mit Unwissenheit! Nach 24 Stunden Trainingspause lag doch quasi eine vollständige Regeneration vor! Und überhaupt, sich in dieser Lage auch noch Kritik von Laien anhören zu müssen, ist wirklich das Letzte. Besser gleich den Betriebsrat anrufen. Das ist Diskriminierung. Wir machen schließlich auch nur unsere sportliche Arbeit!
Ihr Dr. Matthias Marquardt
MEIN TIPP:
Trainingsausfälle nach Überlastungen werden von Laien nicht so ernst genommen wie solche nach Unfällen. Gleichwohl sollten Triathleten mit einem klugen Training solchen Beschwerden vorbeugen.
Einmal im Monat schreibt der bekannte Internist und Laufexperte Dr. Matthias Marqardt im Triathlon-Magazin eine Kolumne zu kontroversen Themen des Laufsports.