Einige schwören drauf, viele Triathleten verfluchen sie – die orthopädische Einlage. Was mit primitiven Schuhzurichtungen vor Jahrhunderten begann ist heute zum High-tec-Produkt geworden. Warum sich heute dennoch meist 08/15-Versorgung in den Schuhen befinden, die gar nicht auf ihre Bedürfnisse abgestimmt wurde? Dr. Marquardt erklärt warum.
„Schmerzen am Knie? Ich schreib Ihnen da mal eine Einlage auf“, so tönt es oft in Arztpraxen. Noch einmal den Fuß in den Trittschaum gestellt und wenige Tage später kann man sich seine „individuelle Einlagenversorgung“ abholen. Was viele Sportler nicht wissen: Auf dem Rezept steht immer der gleiche Text (Diagnose: „Knick-Senk-Spreizfuß“), der Trittschaum wird oft nur zum Ausmessen der Fußlänge benutzt, damit der Orthopädietechniker den passenden Einlagenrohling aus dem Regal nehmen kann und diesen kurz „anpasst“, respektive mit seinem Bezug versehen kann.
Ein Skandal? Nun, ohne in das immerwährende Gejammer der medizinischen Berufe einsteigen zu wollen: Der Orthopäde, der für einen gesetzlich versicherten Patienten 35 € für eine komplette Quartalsbetreuung bekommt, wird so kaum Zeit für lange Sportanamnesen haben. Und der Orthopädietechniker, der 60 € brutto für eine komplette Einlagenversorgung inkl. aller Material- und Betriebskosten erhält, kann ebenfalls nicht in wichtige Details einsteigen. Wenngleich es beide, davon bin ich fest überzeigt, sicherlich gerne würden.
So ist es, wie es im Gesundheitssystem oft ist: Was für die Standardsituation noch passen mag, wird den anspruchsvollen Triathleten kaum zufrieden stellen. Schlimmer noch, eine solche Standardversorgung kann ihm sogar schaden. Weil die 08/15-Einlage stets eine Stütze des Fußlängsgewölbes vorsieht, erhalten auch O-beinige Läufer immer wieder eine solche Unterstützung der Fußinnenseite. Und man muss kein Biomechaniker zu sein, um zu verstehen, dass ein O-Bein, das innen unterstützt wird, sich verstärkt. Leider führt das zu einer Mehrbelastung des ohnehin stark belasteten inneren Kniegelenksanteils. Ein irreparabler Gelenkverschleiß kann die Folge sein.
„GUTE EINLAGEN SIND MASSANFERTIGUNGEN:
Investieren Sie daher in eine gute Beratung und Anfertigung.“
BAUART EINER 08/15-EINLAGE:
Eine wirklich individuelle Beratung tut also unbedingt not. Einziger Haken: Diese kostet Zeit. Und Arbeitszeit ist in unserem hochentwickelten Land das teuerste überhaupt. Zuerst muss der Sportler vollständig untersucht werden. Aus der Untersuchung kann sich eine Indikation zur Einlagenversorgung ergeben, ganz oft aber auch nicht. Prinzipiell sind zahlreiche Beschwerden, von Fersensporn, über Kniegelenksschmerzen bis hin zu Rückenschmerzen mit Einlagen therapierbar, aber nur wenn bestimmte biomechanische Zusammenhänge zwischen Fehlstellung und Beschwerden gegeben sind. Und das muss nicht so ein.
EIN BEISPIEL:
Ein Läufer mit Schmerzen hinter der Kniescheibe sucht eine Lösung für seine Beschwerden. Diese können durch eine Fußfehlstellung wie dem schon zitierten Knick-Senk-Spreizfuß ausgelöst werden, dann mag eine Einlagenversorgung hilfreich sein. Sie können aber auch durch eine sitzende Laufhaltung ausgelöst werden. Dieser häufige Beschwerdeauslöser kann durch keine Einlagenversorgung beeinflusst werden, sondern nur durch Kraft- Koordinations- und Techniktraining. Wichtig: Die Einlage ist möglicherweise nicht nur überflüssig, sie kann durch die Änderung der Biomechanik sogar andere Verletzungen auslösen.
Der Sportarzt ist bei der Indikationsstellung zwingend auf die ausführliche Untersuchung und Befragung des Patienten angewiesen, bevor mit einer elektronischen Fußdruckmessung die exakte Fußform und Stellung festgelegt wird. Experten unterscheiden bei Füßen mit flachem Gewölbe nämlich einen Senkfuß von einem abgesenkten Hohlfuß. Das Bild ist ähnlich, die auftretenden Beschwerden und die Muskelspannung im Fuß aber ganz unterschiedlich. Alsdann ist die Durchführung einer Bewegungsanalyse obligat. Denn nur wenn ich neben der Fußstellung die Beinachse und Beckenstellung untersucht habe, kann ich die Funktionselemente einer Einlage so setzen, dass diese auch auf Fehlstellungen wie ein O-Bein korrekt Einfluss nehmen können. Außerdem muss ich den Laufstil beurteilen, um zu erkennen ob die Beschwerden eventuell Lauftechnik bedingt sind (oft bei Knieschmerzen der Fall) oder ob der Läufer eigentlich Vor- oder Rückfußläufer ist. Beides würde unterschiedliche Macharten der Einlage nach sich ziehen.
Grundsätzlich gibt es zwei Philosophien, nach denen Einlagen beschaffen sein können. Die konventionelle orthopädische Einlage sowie die sensomotorische Einlage. Erstere unterstützt die Fußgewölbe mit einer Längs- und Quergewölbestütze im Sinne einer Formgebung („Du hast kein Gewölbe? Ich mach Dir eins!“). Läufer reagieren hierauf oft mit Druckstellen. Theoretisch wären auch hier Anpassungen mit Keilen unter der Einlage möglich, die Beispielsweise bei einer Supination (Außenkantenbelastung) hilfreich wären, aber leider erfolgen diese Anpassungen nur höchst selten, da der Standardrohling eben so etwas nicht vorsieht.
Die Alternative ist die sensomotorische Einlage. Sie funktioniert über die Beeinflussung der Muskelspannung am Fuß. Alle Muskeln werden in ihrer Spannung vom zentralen Nervensystem eingestellt. Nähert man bei einem Muskel Ursprung und Ansatz an, dies ist zum Beispiel beim Kraulbeinschlag für die Wadenmuskeln der Fall, so muss das ZNS die Grundspannung im Muskel erhöhen, damit das Sprunggelenk muskulär gesichert bleibt. Wird unter der erhöhten Grundspannung dann noch der Beinaschlag trainiert, kommt es daher leicht zum Krampf. In einem solchen Falle würden Sie Ihren Muskel dehnen (Ursprung und Ansatz von einander entfernen), so dass das ZNS die Muskelspannung reduziert. Der Krampf lässt dann nach.
Ähnliches bewirkt die sensomotirische Einlage am Fuß: Die Fußmuskeln werden über Erhebungen der Einlage (Fachjargon: „Pelotten“) entweder verkürzt, oder gedehnt, so kann man die Spannung von Fußmuskeln steigern oder senken. Dass dieses Prinzip kein Hokuspokus ist, weiß man aus der Versorgung von Spastikern, die einen überschießend hohen Muskeltonus haben. Dehnt man Ihre Zehenmuskeln, über eine Erhöhung der Zehenauflagefläche mit einem Zehensteg, so lässt die Spastik nach. Dieses Verfahren wird heute täglich klinisch angewendet.
Auch beim Sportler ist das möglich. Und so macht es für die Wahl der Funktion einer Einlage eben einen großen Unterschied, ob jemand unter einem Fersensporn aufgrund eines Hohlfußes mit hohem Muskeltonus leidet (das Gewölbe ist Hohl, weil die Fußsohlenmuskeln so verkrampft sind) oder unter einem „schlaffen“ Senkfuß. Bei erstem würde man mit Funktionselementen ähnlich wie bei neurologischen Patienten die Fußmuskeln entspannen. Im anderen Falle würde man die Gewölbe stabilsierenden Muskeln des Fußes aktivieren, indem man Ursprung und Ansatz annähert. Auch dies geschieht über eine Pelotte an der richtigen Stelle.
FUNKTIONSELEMENTE EINER SENSOMOTORISCHEN EINLAGE:
1. Mediale Pelotte:
Steigert die muskuläre Aktivität im Längsgewölbe.
2. Retrokapitale Pelotte:
Lindert Spreizfußbeschwerden.
3. Zehensteg:
Entspannt Fußsohle und hintere Beinmuskulatur.
4. Vordere Außenranderhöhung:
Entlastet das Knie.
Da diese Versorgung viel Zeit benötigt, ist sie teuer (etwa 200 Euro je Einlage), was natürlich Begehrlichkeiten weckt und die sensomotorische Einlage schon lange nicht mehr zum rettenden Ufer macht. Denn auch sie wird unlängst standardisiert angeboten. Da werden fertige Rohlinge nur oberflächlich nachgearbeitet und nicht individuell angepasst – und plötzlich laufen Sportler mit „schlaffen Senkfüßen“ mit detonisierenden Funktionselementen im Schuh herum, die ihr Problem nur verschlimmern.
Es ist also alles nicht so einfach. So konnte ich mich früher überhaupt nicht für Einlagen erwärmen, und heute nur unter den oben genannten professionellen Spielregeln. Und ich vertrete auch heute noch die Meinung, dass orthopädische Einlagen nur einer Minderheit von Läufern helfen.
Oftmals schaden sie sogar (Stichwort: O-Bein). Ich musste aber lernen, dass einige Krankheitsbilder (vor allem Fersensporn und Achillessehnenprobleme, einige wenige Knie- und Rückenprobleme) gut mit wirklich individuell angepassten Einlagen zu behandeln sind, wenn sie die oben geschilderte differenzierte Diagnostik zur Grundlage haben.
Die Aufgabe einer professionellen Beratung ist es daher vor allem herauszufinden, ob der Sportler tatsächlich von einer Einlage profitieren kann. Erst nach eingehender Diagnostik sollte dies entschieden werden. So kommt es, dass nur etwa 15% meiner Patienten die Praxis mit einem Einlagenrezept wieder verlassen.
ORTHOPÄDISCHE EINLAGEN
Bei Schmerzen durch typische Fehlstellungen:
KEINE ORTHOPÄDISCHE EINLAGEN
Bei folgenden Gegebenheiten:
Ob auch Sie eine benötigen, das kann nur der Fachmann entscheiden.
Eine ausführliche Untersuchung und Analyse Ihres Körpers sowie Ihres Bewegungsablaufs ist eine Grundvoraussetzung, um diese Frage sicher beantworten zu können. Gerne beraten wir Sie in der Praxis Dr. Marquardt.
In diesem Video erklärt Ihnen Dr. Marquardt, worauf es ankommt: